Vor einigen Jahren stand mir eine alte Dame an der Rezeption gegenüber. Sie war sehr traurig und weinte. Ich fragte, warum sie weine. Sie antwortete, sie müsse für längere Zeit ins Krankenhaus und habe niemanden der ihr die Wäsche mache. Sie lebte allein. Spontan erklärte ich mich bereit ihr diese Sorge abzunehmen und die Wäsche zu machen.
Von da an habe ich sie über 12 Jahre betreut. Bei Arztbesuchen, beim Einkaufen und im Haushalt habe ich sie unterstützt. Ich hab bei allem, was anfiel, geholfen.
Die alte Dame war allein mit ihrem kleinen Sohn als Flüchtling aus Schlesien hier rüber gekommen. Ihr Mann war im Krieg gefallen. Ich glaube ihre Schwester auch. Ihre Eltern hatte sie glücklicherweise wieder gefunden. Später heiratete sie ein zweites Mal.
Ihr Sohn nahm sich, 19-jährig, das Leben. Als ihre Eltern und ihr Mann verstarben, war sie allein. Verwandte hatte sie keine mehr.
Sie wohnte 12 km von mir weg. Zu ihren Nachbarn hatte sie kaum Kontakt. Wenn Feste waren, wurde sie schon mal eingeladen. Das gehörte sich so.
Eines Tages bat sie mich eindringlich, ich möge sie nie ins Altenheim abschieben. Davor hatte sie Angst. Ich versprach ihr, dass ich, so lange ich selbst könne, für sie da sein würde.
In den letzten Jahren hatte sie 4 Schlaganfälle. Caritasschwestern kamen morgens und abends und halfen beim An- und Ausziehen der Kompressionsstrümpfe. Den Rest bewältigten wir beiden zusammen – sie wollte keine fremden Menschen um sich haben.
Jeden morgen freute sie sich wenn ich kam. Das Schönste war: Sie bedankte sie sich jedes Mal und sagte: „Pass auf dich auf, ich brauche dich“.
Ich muss zugeben es war neben Familie und Beruf nicht immer einfach. Aber ich habe es gern gemacht und meine Familie stand mir zur Seite. Die alte Dame gehörte Ostern, Weihnachten und an Geburtstagen wie selbstverständlich zu uns.
Als sich ihr Allgemeinzustand verschlechterte, kam sie ins Krankenhaus. Nach einigen Tagen bat ich den Pastor, ihr die hl. Ölung zu geben. In der folgenden Nacht verstarb sie.
Sie war dankbar dafür, dass wir uns getroffen haben. Das betonte sie immer wieder. Aber weil sie im Leben harte Zeiten durchgemacht hat und mache Schicksalsschläge ertragen musste, war sie ruhig und erzählte nicht viel. Ich habe ihr was gegeben von meiner Zeit – und ich habe von ihr gelernt.
Beatrix Haselhorst
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